Uffenheim. Ein ganz kleines Städtchen in Mittelfranken. Puppenstubenambiente. Fachwerkhäuser. Stadtmauer. Als sei das Mittelalter gestern erst zu Ende gegangen.

Vor ein paar Jährchen verbrachte ich dort etwa zwei Jahre als Schüler und Internatsbewohner. Damals war es so, dass in vielerlei Hinsicht die Zeit stehengeblieben zu sein schien. So um 1960 herum, oder noch früher.

Zum Beispiel fuhren damals etliche automobile Veteranen herum, die das alte Kennzeichen UFF trugen, welches der damals schon lange ehemalige Landkreis Uffenheim bis 1972 vergeben hatte. Brezelfensterkäfer, Goggomobil und ähnliche Schätzchen. (Heute ist dies Kennzeichen wesentlich häufiger zu sehen als damals, wenn auch wohl weniger bei Veteranen.)

Ich selbst war damals als Jugendlicher ein veritabler Kotzbrocken von der schlimmsten Sorte. Und wie auch in späteren Lebensabschnitten wusste ich nicht, wie gut ich es hatte. Dies Internat war überaus nachsichtig mit solchen „Ungustln“ wie mir, der ich praktisch vom ersten Tag an stets über die Stränge schlug, und schmiss mich erst dann raus, als ich wirklich komplett untragbar geworden war. Von daher spreche ich dem Internat ebenso wie der Schule heute meine Verehrung aus, nach wie gesagt langer Zeit, aber besser spät als nie.

Und nun habe ich am vergangenen Sonntag auf einer Rückreise aus Süddeutschland dies Städtchen nach 32 Jahren erstmals wieder besucht. Der erste Eindruck war der vollkommener Tristesse. Allerdings war es auch ein recht düsterer und verregneter Nachmittag Ende Oktober. Auf meinem Spaziergang bemerkte ich dann sogleich, dass ich als doch Fremder von allen Leuten, die mir begegneten, freundlich gegrüßt wurde. Das war schon ungewöhnlich und revidierte natürlich den ersten Eindruck. Es war auch, wie ich erwartet hatte, alles weitgehend unverändert gegenüber dem Zustand von vor über drei Jahrzehnten.

Der Schnellerturm, ein Teil der ehemaligen Stadtbefestigung, und der Amtsgartenweg

Der Schnellerturm, ein Teil der ehemaligen Stadtbefestigung, und der Amtsgartenweg

Es war damals eine Zeit, die mir heute wie ein Traum vorkommt. Oder anders gesagt: Es ist so lange her, dass es schon nicht mehr wahr ist. Da gab es zum Beispiel etliche amouröse Abenteuer, die mich bis auf den heutigen Tag beschäftigen. Es bestand ein eigenartiges Spannungsverhältnis zwischen den „Heimschülern“, das heißt den Internatszöglingen, und den Uffenheimern. Die letzteren waren nicht immer gut auf die ersteren zu sprechen, gleichwohl gab es unter ihnen (und aus all den Dörfern im Umkreis) etliche Mädchen, die sich zu den Heimschülern hingezogen fühlten ...

Ein Ort, an dem sich Kontakte zu diesen zahlreichen, teils äußerst ansehnlichen Mädchen anbahnen ließen (man weiß ja, dass gerade auf dem Land stets die schönsten Exemplare leben), waren diese Stufen hier auf dem Pausenhof der Schule. Dies wiederzusehen war der berückendste Augenblick meines Spazierganges ...

Die Stufen auf dem Pausenhof der Schule

Die Stufen auf dem Pausenhof der Schule ... man stelle sich dies bitte im Sommer, kurz vor den Ferien, bevölkert von Scharen schöner junger Mädchen und Jungen im Alter von 14 bis 20 vor

Dabei denke ich insbesondere an eine. Elke Rabenstein ist ihr Name. Aus heutiger Sicht ein absolutes Traummädchen. Neunte Klasse Realschule. Dies himmlische Geschöpf wollte schon seit längerer Zeit was von mir, doch ich war borniert. Eines Tages kam es dazu, dass unter tätiger Mithilfe eines jungen Uffenheimers aus einer Sinti-Familie namens Marco Schneck eine Verkupplung stattfinden sollte. Was auch beinahe Erfolg hatte ... es kam zu einem sehr lustigen und netten Videoabend mit Marco und mir sowie Elke und ihrer Dreierclique, bei dem wir den Kultfilm „Top Secret“ sahen. Am Ende fand dann noch ein langer Kuss zwischen mir und ihr statt ...

Doch was tat ich, der feste Trottel, am nächsten Schultag? Zeigte dem wunderbaren Mädchen die kalte Schulter. Sie war wohl vollkommen entsetzt, total durch den Wind, legte sich auch in unmittelbarer Folge ein komplett neues und völlig anderes Outfit zu ... ich habe mir seither lange und ausgiebig Hirn und Herz zermartert, warum ich damals so dumm und blöd sein konnte, aber bin zu keinem wirklichen Schluss gekommen. Am wahrscheinlichsten ist wohl, dass ich mir zu jenem Zeitpunkt ähnlich wie bei anderen Gelegenheiten davor und danach eine andere, die aber nichts von mir wollte, eingebildet hatte.

Vermutlich war es damals eine Mitschülerin aus meiner Parallelklasse. Die war eine echte klassische Schönheit, jedoch völlig unnahbar und trat kaum je in Erscheinung, außer einmal bei der Klassenfahrt in die DDR, dann aber umso mehr. In Neubrandenburg in der Jugendherberge muss es gewesen sein. Da zeigte sie einmal allen, wie toll sie tanzen konnte. Diese Dame findet man bei Facebook und es erweist sich, dass sie Schauspielerin wurde ... sie muss heute wohl noch wie damals aussehen, inklusive der „Reife“ natürlich.

Sie nahm wohl eine Reihe recht bedeutender Rollen an verschiedenen Bühnen wahr und schließlich auch eine leitende Tätigkeit, die anscheinend nur kurz andauerte ... seitdem hörte man nichts mehr von ihr. Was schade ist ... wüßte ich, ob oder wann und wo sie auftritt, sähe ich mir das vielleicht auch einmal ganz gerne an.

Im Vergleich dazu vollkommen anders eine andere Mitschülerin, die in dieselbe Klasse ging wie ich. Die war keineswegs etwa häßlich, hatte auch schöne blonde Haare, aber war recht pummelig. Ich bin ja (zumindest heute) der letzte, der was gegen weibliche Rundungen hat. Aber dann trug sie auch noch Brille ... nein, das war nichts für mich. Aber wie sehr hat diese Dame sich seitdem verändert! Hat die depperte Brille weggeworfen, fünfzehn Kilo abgenommen und eine recht glänzende Karriere beim Bayerischen Rundfunk hingelegt. Heute sieht sie umwerfend toll aus, auch mit der „Reife“. Es gibt von ihr neben Facebook auch einen Kanal auf Youtube. Dort unterhält sie sich locker-flockig, fast freundschaftlich im Münchner Tonfall mit Leuten wie einem früheren BILD-Chef oder einem Esoterik-Erfolgsautor vom Starnberger See ...

Man sieht an diesen beiden recht gut, worauf es ankommt und worauf nicht, um im Beruf Erfolg zu haben. Aber ich schweife ab. Ufni war für ein bestimmtes Klientel auch immer ein Ort der Ausschweifung. Damals konnte man mit fünf Mark, einem sogenannten Heiermann, auch noch richtig was anfangen. Zum Beispiel gab es beim für die Heimschüler günstig gelegenen Aldi in der Sparkassenstraße (heute NKD) für dieses Geld einen Eightpack Bier, also acht solide Halbliterdosen Pils in Folie zusammengeschweißt. Dies Bier schmeckte zwar wohl nur mittelprächtig, aber es ging ja stets vor allem um den Rausch, und der war für die Beteiligten bei solcher Menge Alkohol ebenso stets garantiert.

Oder der fantastisch schöne und idyllische Biergarten im Amtsgartenweg, Ecke Am Freibad, der unter dem Namen „Alte Kelterei“ nach wie vor existiert. Im Freibad tummelten sich sommers natürlich all die schönen Mädchen aus der Schule in Bikini und Badeanzug; auch sah ich Elke und ihre fantastische Figur dort zum letzten Mal. Im Biergarten gab es unter anderem auch „Berliner Weiße mit Schuß“, worunter der Wirt normales bayerisches Weißbier verstand, aber eben mit Schuß (Waldmeister oder Himbeere) und er servierte dies auch in den typischen halbkugelförmigen Gläsern und natürlich mit Trinkhalm, womit man so wunderbar „blubbern“ konnte. Wo er die Gläser in Halblitergröße wohl her hatte? Ich bin fast versucht, dort anzurufen und nachzufragen, ob noch welche da sind.

Der Biergarten „Alte Kelterei“

Der Biergarten „Alte Kelterei“, links der Eingang zum Freibad

Blick ins Freibad

Blick ins Freibad, leider ohne Elke

Eines Tages im schönsten Sommer, wohl gegen Ende des Schuljahres, setzten sich der Schreiber dieser Zeilen und einer seiner Partykumpane namens Heiko in diesen Biergarten mit dem Vorsatz, auszuprobieren, wieviele solcher „Berliner Weiße mit Schuß“ wohl in einen einzelnen jungen Mann unseres Zuschnitts hineinpassten. Es müssen etliche gewesen sein. Sieben? Auf jeden Fall kam uns beiden das Gesöff zum Schluss beinahe zu den Ohren wieder raus. Ich muss das demnächst mal zu Hause ausprobieren ... also das Gesöff als solches, nicht den Rekordversuch natürlich. Wird allerdings schwierig in Ermangelung solcher Halblitergläser, denn in Berlin sind es heute ja stets 0,33er.

Aber gerade der Alkoholkonsum wurde von der Heimleitung und den Erziehern wohl nicht als sonderlich problematisch angesehen, oder das typische laissez-faire äußerte sich auch hier mit großer Nachsicht; ich kann mir kaum vorstellen, dass es heute in einer quasi neopuritanischen Zeit mit zahllosen neuen damals undenkbaren quasireligiösen Heilsregeln immer noch ebenso abläuft. Jedenfalls gab es im Keller der Internatsräume unter anderem die „Heimdisco“, in der die Schüler ab sechzehn ganz ungestört und ungeniert Bier zum Einkaufspreis trinken und natürlich auch rauchen durften. Ich muss wohl nicht groß betonen, dass die Heimdisco zu meinen ständigen Aufenthaltsorten zählte ...

Dann gab es in Uffenheim die übliche „Dorfdisco“, hier namens „Karibik“. Die exisitiert wohl schon länger nicht mehr ... wenn meine Erinnerung und meine Recherchen zutreffen, dann befand sich diese an der Adresse Im Sportzentrum 3, ebenfalls für Heimschüler sehr günstig gelegen, da gleich direkt westlich auf der anderen Seite der Umgehungsstraße (Schulstraße). Auch hier gab es demzufolge zahllose Besuche meinerseits, verbrachte ich doch fast immer auch die Wochenenden im Internat, da das Leben in Ufni um vieles interessanter und vielgestaltiger war als „zu Hause“, wo man wegen der geografischen Lage vor allem am Wochenende praktisch nichts anderes tun konnte als Trübsal blasen.

Und Kiffen war natürlich immer äußerst begehrt. Damals war die nächste Gelegenheit, da ran zu kommen, Frankfurt am Main (wenn man nicht sehr gute Connections zu bestimmten Einheimischen hatte). Also trampte man am Freitag nachmittag mal eben die 160 Kilometer dorthin, kaufte auf der Zeil ein paar Gramm von den Straßenverkäufern und trampte dann wieder zurück. Was damals problemlos möglich war.

Scherenhof, Würzburger Str. 3

Scherenhof, Würzburger Str. 3, datiert 1571

Das Kiffen selbst war in Ufni mächtig gefährlich. Einmal verzog ich mich mit einem anderen Heimschüler abends in der Dunkelheit heimlich irgendwohin auf einen Feldweg etwas abseits des Städtchens in der Hoffnung, dort ungestört zu sein. Prompt kam geradewegs die Polizei im Streifenwagen eben diesen Feldweg entlanggefahren. Allerdings wurde nie jemand wirklich erwischt, soweit ich weiß; heute einigermaßen rätselhaft, denn gerade auch die Erzieher im Internat können auf gar keinen Fall so unbedarft gewesen sein, davon niemals irgendetwas mitzubekommen. Aber wie ich oben schon schrieb: Man war überaus nachsichtig mit allem. Vielleicht doch eine gute Seite an der Religiosität? ... Ich sollte auch betonen, dass trotz der eindeutig evangelisch ausgerichteten Prägung des Ganzen nie, wirklich nie irgendwelcher wie auch immer geartete Druck religiöser Natur auf die Schüler ausgeübt wurde.

Das Internat erstreckte sich damals auf beiden Seiten der Straße Im Krämersgarten: südlich davon die beiden nach wie vor bestehenden Blöcke, der eine für die Mädchen, der andere für die Jungen; außerdem nördlich das sogenannte Mohrhaus, das ebenfalls den Mädchen vorbehalten war. Das exisitert scheints nicht mehr; an seiner Stelle steht heute ein Beratungszentrum der Schule, bei dem es sich wohl um einen Neubau handelt. Bin nicht sicher. Jedenfalls verbindet sich mit diesem Mohrhaus die Erinnerung an eine weitere veritable Zuckerschnecke namens Kathrin Fröhlich. Obwohl ich an dieses supersüße Mädchen damals keinen Gedanken verschwendet habe ...

Erst viel später wurde mir klar, was das für ein heißer Feger gewesen sein muss. Sie wirkte damals recht jung, wenn auch nicht unreif und schon gar nicht kindlich ... heute weiß ich, dass das allein kein Problem gewesen wäre, denn ebenso wie Elke ist Kathrin Baujahr 1974 und nur zwei Wochen jünger als jene, trotz zweier Schulklassen Unterschied. So waren sie beide also längst vierzehn bereits zu dem Zeitpunkt, als ich auf diese Schule und in dieses Internat kam ...

Leider ist im Gegensatz zu den beiden anderen oben beschriebenen Damen nichts über den weiteren Lebensweg von Elke und Kathrin zu finden. Wenn ich mir was wünschen dürfte ... nun, das Rad der Zeit läßt sich bekanntlich nicht zurückdrehen. Aber vielleicht mache ich nächstes Jahr im Juni, wenn in Deutschland die schönste Zeit des Jahres ist, mal eine Woche Urlaub in Ufni und vielleicht läuft mir dann ja ein bekanntes Gesicht über den Weg.

Sollte irgendjemand zufällig diese Zeilen lesen, der oder die mich kennt und in guter Erinnerung und Lust hat, an alte Zeiten anzuknüpfen, so freute ich mich sehr über ein paar Zeilen. Meine Kontaktdaten sind hier zu finden.

Insbesondere wäre es mir eine große Freude, von den Herren Felix Weinert aus Ansbach, Nico Wirsching aus Iphofen, Marco Maar aus Uffenheim und Norbert Eberl aus Roth (?) ein Lebenszeichen zu erhalten. Auch von keinem dieser vier konnte ich bisher irgendeine Spur recherchieren.

Café Ritter am Spitalplatz

Café Ritter am Spitalplatz, unverändert

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