Endlich war einmal Gelegenheit, der sowohl technisch besonders interessanten wie auch landschaftlich äußerst reizvollen Eisenbahnstrecke Most – Osek – Moldava (Brüx – Ossegg – Moldau) in Tschechien, auch genannt Teplitzer Semmering, Moldavská horská dráha (Moldauer Bergbahn) oder Krušnohorská železnice (Erzgebirgsbahn), einen Besuch abzustatten. Die Strecke hatte einst vor allem Bedeutung für den Transport von Kohle, das heißt wohl Briketts, aus dem nordböhmischen Revier nach Sachsen. Seit 1945 endet die Strecke leider in Moldava; auf sächsischer Seite geht es in Holzhau, wenige Kilometer von Moldava entfernt, weiter nach Freiberg und ursprünglich noch bis Nossen. Der Name Moldava/Moldau hat übrigens nichts mit dem Fluß Moldau zu tun, welcher ganz Böhmen und auch Prag durchfließt; dieser heißt auf tschechisch Vltava.
Standesgemäß sollte dieser Ausflug mal wieder wie in alten Zeiten nur per Bahn stattfinden – also um drei Uhr morgens aufstehen, dann von Berlin über Elsterwerda und Dresden nach Bad Schandau, immer in den notorischen Doppelstockzügen. Der Zug von Bad Schandau nach Děčín – ein typischer Vertreter der Kategorie „kleiner Grenzverkehr“ – bestand aus alten Liegewagen. In einem ähnlichen alten in Bautzen gebauten Abteilwagen hatte ich zuletzt im Sommer 2006 in Polen von Warschau nach Brest auf der Fahrt nach Minsk Platz genommen ...
Zwischen Bad Schandau und Děčín verkehrte ein veritabler Liegewagenzug
Eine der Zweisystemloks Baureihe 371 der ČD, die ja auch des öfteren bis nach Berlin kamen, brachte diesen Zug nach Děčín. Hier ist 371 002 neben ihrer Gleichstrom-Schwester 163 077 in Děčín hlavní nádraží (Tetschen-Bodenbach Hauptbahnhof) zu sehen:
Typische Szene in Děčín hlavní nádraží
Kurz darauf fuhr mein osobní vlak (Nahverkehrszug) Děčín - Teplice (Teplitz-Schönau) - Most (Brüx), bespannt mit Gleichstrom-Lok und bestehend wiederum aus alten Bautzner Abteilwagen. Man kann wirklich nicht sagen, daß dieses „alte Gelumpe“ nicht auch heute noch komfortabel ist im Gegensatz zu den postmodernen Dostos der DB. Die Strecke selbst ist allerdings nicht besonders interessant, man sieht viel Bergbaufolgelandschaft, an einigen Stellen sind auch kurze Einblicke in die aktiven Tagebaue möglich. Der Bahnhof in Most ist ebenfalls nicht der schönste, aber einige interessante Fahrzeuge gibt es allemal abzulichten, wie etwa diesen immer wieder gern gesehenen Triebwagen:
854 002 in Most – „Starý, ale krásný“
In Most kam bald der ersehnte Zug nach Moldava. Zunächst geht es wiederum einige Zeit durch Bergbaufolgelandschaft und entlang des Chemiekomplexes „Chemopetrol“ – ehedem war das das „Sudetenländische Treibstoffwerk“ der „Hermann-Göring-Werke“, erbaut zum Zwecke der Herstellung von Treibstoff für Fahr- und Flugzeuge mittels Kohlehydrierung wie einst in Leuna. Es folgen die Haltepunkte Most-Kopisty, Most-Minerva und Litvínov město. Am Rande der Strecke erblicke ich auch eine alte Schachtanlage sowie auf dem Chemopetrol-Gelände einige Dampflokwracks. Hier ist die Strecke auch elektrifiziert. In Louka u Litvínova endet dies; es folgt der Haltepunkt Lom u Mostu zastávka, und bald darauf beginnt in Osek město (Ossegg Stadt) der romantische Teil der Strecke. Hier findet stets eine Zugkreuzung mit dem talwärts fahrenden Zug statt; die Weichen werden schlicht vom Zugpersonal bedient. Das Bahnhofsgebäude in Osek město wurde vor nicht allzu langer Zeit in „Schönbrunn-Gelb“ renoviert:
Altösterreichisches Ambiente in Osek město
Hier wird der talfahrende Zug abgewartet
Nicht umsonst werden die Züge in verkehrsstarken Zeiten aus zwei Triebwagen Baureihe 810 der ČD mit einem dazwischenlaufenden Beiwagen Baureihe Btax 010 gebildet. Die 810 sind in Deutschland manchen als „Brotbüchse“ bekannt, in Tschechien aber haben sie den Spitznamen „Orchestrion“; vergleichbar sind sie mit den deutschen Schienenbussen bzw. Leichttriebwagen. Also die typischen Nebenbahn-Retter, und in Tschechien immer noch allerorten anzutreffen.
Von nun an geht es stets bergan durch den Wald hinauf ins Erzgebirge (Krušné Hory). Ein größerer Gegensatz zwischen der Idylle, welche die Strecke nun bis nach Moldava begleitet, und der Industrielandschaft unten im Tal ist kaum denkbar. Ab und zu taucht ein „Vechtr“, ein altes Bahnwärterhaus, am Rand der Strecke auf; je höher man kommt, desto mehr Schnee liegt natürlich auch. Die „Orchestriony“ haben hart zu arbeiten, da die Strecke zudem mächtig steil ist. Schöner kann Bahnfahren nicht sein! Zudem es sich hier ja nicht um eine Museumsbahn handelt – welche ich persönlich normalerweise ohnehin eher verschmähe.
Es folgen die Bahnhöfe und Haltepunkte Horní Háj, Hrob und Střelná v Krušných Horách, dann der interessanteste Bahnhof der ganzen Strecke: Dubí. Dieser weist eine Spitzkehre auf, was heute wohl nicht mehr allzu häufig anzutreffen ist. Der Bahnhof befindet sich im Wald weit oberhalb des Ortes Dubí u Teplic (Eichwald bei Teplitz); er dürfte wohl fast nur touristische Bedeutung haben. Bis 1959 gab es übrigens eine Lokalbahn, also eine elektrische Überland-Straßenbahn, von Teplice nach Dubí.
Dubí im klirrend kalten Winter
Man gönnt sich auch zwei Triebfahrzeugführer, welche sich jeweils in Dubí, wo die Fahrtrichtung wegen der Spitzkehre stets wechselt, Berg- und Talfahrt teilen: je einer in den Führerständen an beiden Enden des Zuges! Dennoch sind die Fahrpreise der ČD (České drahy) immer noch mehr als erschwinglich, ja beinahe geschenkt ...
Oberhalb von Dubí liegt immer mehr Schnee, und in Mikulov v Krušných Horách (Niklasberg) bekam man die ersten Wintersportler zu Gesicht. Langlauf ist hier im Erzgebirge sehr populär, und die Krušnohorská železnice scheint für den Wintersport recht bedeutend zu sein. Vom Haltepunkt Mikulov-Nové Město, der äußerst pittoresk am Berghang direkt an einem Tunnelportal liegt, kann man auch ein respaktables Skigebiet mit Skilift sehen, das offensichtlich sehr gut besucht wird.
Drei Tunnel sind auf der Strecke zwischen Dubí und Moldava, und in allen ist die Geschwindigkeit heute auf 10 km/h begrenzt. Zudem sind die Tunnelwände mit Stützkonstruktionen aus Schienen und Holzbalken versehen ... Daran kann man wohl am deutlichsten erkennen, daß diese Strecke dringend einer Sanierung bedarf. Zum Glück wurde sie bereits 1998 unter Denkmalschutz gestellt. Man kann nur hoffen, daß der Denkmalschutz in Tschechien seine Aufgabe tatsächlich ernst nimmt – im Gegensatz zu dem bei uns, der meiner Erfahrung nach nur dann strenge Auflagen erteilt, wenn bloß die kleinen Leute schikaniert werden müssen und keine Kapitalinteressen gefährdet sind.
Nun war der heutige Endpunkt der Strecke in Moldava (Moldau) erreicht, der übrigens unmittelbar an der Staatsgrenze liegt. Hier gab es richtig viel Schnee, so viel, wie ich seit langem nicht mehr gesehen hatte. Viele Langläufer waren unterwegs; das eine Gleis des Bahnhofs war dank der Schneemassen zu einer Art Zufahrtsloipe zum Bahnsteig umfunktioniert ... Das ist auch so etwas, was mir in Tschechien so gut gefällt (neben der Sprache): dieser lockere Pragmatismus. Die machen sich's nicht unnötig schwer. In der BRD dagegen (wo alles Bahnmäßige abseits der Hauptmagistralen verlottert und verkommt, daß es eine einzige Schande ist) wäre es sicher vollständig ausgeschlossen, daß sich ein Langläufer auf einer nicht stillgelegten Bahntrasse bewegt, und sei es auch nur ein einziger Meter!
Moldava nádraží, mit viel, viel Schnee
Das Bahnhofsgebäude von Moldava bedarf zwar ebenfalls sichtlich einer Sanierung, jedoch wird es nach wie vor genutzt, es gibt wie früher bei uns einen Fahrkartenschalter, einen beheizten Warteraum und vor allem eine Bahnhofsgaststätte traditioneller Art, die den vielen Langläufern eine offensichtlich willkommene Einkehr bietet ...
Die Straßenseite mit pittoresken Eiszapfen
Nochmal das „Orchestrion“ in Moldava
Schon ging es wieder zurück nach Berlin. Auf dem Abschnitt von Dresden nach Cottbus erwartete mich noch eine nette Überraschung. Ausnahmsweise mußte ich nicht in einem der ungeliebten Dostos platznehmen, sondern in der Regionalbahn fand sich ein echter Interregio-Wagen, außen in DB-Rot (was ich noch nie gesehen hatte) und innen mit sogar gepflegter Original-IR-Inneneinrichtung. Leider mußte ich dann auf dem letzten Abschnitt von Cottbus nach Berlin wieder mit einem Dosto vorliebnehmen ...
IR-Wagen Bimz 546.8 in DB-Rot – wann und wo mag der wohl gebaut worden sein?
Innen ist anscheinend alles original
Man sollte möglichst bald mal wieder einen Eisenbahnaufenthalt in Tschechien einplanen ... da gibt es noch so einige andere Strecken, die unbedingt besuchenswert sind! Hier eine weitere Anregung: Die Schienenstränge durch Tschechien. Aber die Krušnohorská železnice ist neben der Zubačka Tanvald sicher eine der schönsten und romantischsten!