Nachdem ich nun nach sechs nahezu vergeudeten Jahren in jenem sogenannten „Millionendorf“ im Süden Deutschlands erfolgreich die Rückkehr in meine einzige echte Heimat Berlin vollzogen habe, bleibt mir auch wieder ein wenig Muße für die Industrie- und Eisenbahn-Archäologie in der Lausitz. So habe ich ein wenig am Thema Neupetershain – Hoyerswerda / Proschim-Haidemühl – Spremberg und Umfeld, zu dem ich vor Jahren schon schrieb, weitergeforscht. Am Umfeld dieser Bahnstrecke sind natürlich vor allem die Braunkohlewerke sowie die vielen mit diesen zusammenhängenden Industriebahnen inklusive der Spremberger Stadtbahn interessant.
Betrieb auf der Strecke
Zunächst einmal möchte ich hier zwei Fotos vom Betrieb auf der Strecke Neupetershain – Proschim-Haidemühl zeigen. Zum ersten ein Foto, das ich ursprünglich in einem Forenbeitrag bei Drehscheibe Online aus dem Jahr 2008 fand, von wo es aber leider mittlerweile verschwunden ist. Es zeigt die Lokomotive, die bei der Reichsbahn als 91 9343 lief, als Werkslok des BKK „Glück auf“ Welzow:
91 9343 als Werkslok des BKK „Glück auf“ Welzow am 07.10.1972 vor einem Sonderzug im Bahnhof Welzow
Leider war es mir bisher nicht möglich, dies Foto zu clearen. Sollte der Rechteinhaber dieses Fotos etwas gegen die Veröffentlichung hier auf meinen Seiten einzuwenden haben, so bitte ich diesen freundlich um Nachricht.
Dann konnte ich vor einiger Zeit in Berlin dieses sehr interessante Foto erwerben, das ebenfalls eine Werkslok des BKK „Glück auf“ Welzow zeigt:
Werkslok 1 des BKK „Glück auf“ Welzow durchfährt Welzow am 17.03.1974 (Klick öffnet mit Mausrad zoombares Foto)
Das Foto weiß zu berichten, daß diese Werkslok 1, eine Dampfspeicherlok vom Typ C-fl, im Jahre 1961 im VEB Lokomotivbau „Karl Marx“ Babelsberg mit der Fabriknummer 146698 gebaut wurde und daß sie beim BKK „Glück auf“ Welzow die Bergbaunummer 147-4-13 trug. Hier durchfährt sie Welzow mit einem Zug von der Brikettfabrik Haidemühl zum Bahnhof Neupetershain. Foto und Copyright: Martin Stertz. Mit freundlicher Genehmigung von Herrn Stertz.
Brikettfabriken entlang der Strecke
Dann gab es vor Jahren auf der privaten Webseite lausitzerbergbau.de einige Scans alter Ansichtskarten von den Brikettfabriken in Kausche und Welzow. Auch hier versuchte ich bisher vergeblich, diese zu clearen; wiederum bitte ich den Inhaber jener Seite, von der diese Grafiken leider längst verschwunden sind, um Nachsicht und daß er mich bitte kontaktiere, wenn er mit der Veröffentlichung hier nicht einverstanden sein sollte.
Brikettfabrik Kausche
Brikettfabrik Kausche mit der typischen Kettenbahn, die vor der Zeit der 900mm-Kohlebahn die Rohbraunkohle direkt aus der Grube in die Fabrik beförderte (siehe oben links auf dem ersten Kartenausschnitt weiter unten).
Brikettfabriken Clara I/1 und I/2 in Welzow
Nochmal Brikettfabriken Clara I/1 und I/2 in Welzow aus anderer Perspektive
Brikettfabriken Clara I/1, I/2 und I/3 in Welzow
Brikettfabrik Clara I/3 in Welzow
Brikettfabrik Clara I/3 in Welzow mit etwas künstlerischer Freiheit gesehen
Nochmal Brikettfabrik Clara I/3 in Welzow mit Jugendstilornamenten
Neue Fragen und Antworten zu Industriebahnen im unmittelbaren Umfeld
Was bei weiterer Recherche im Netz sonst noch so zutage trat, warf jedoch erst einmal neue Fragen auf. Es gibt zum Beispiel einen an sich sehr informativen Artikel über die Bahnstrecken Neupetershain – Hoyerswerda / Proschim-Haidemühl – Spremberg bei der Sachsenschiene. In diesem heißt es:
Am 15.10.1924 bekam die Grube Clara bei Haidemühl einen weiteren Bahnanschluss über eine meterspurige Kohlebahn von Spremberg. ... Am 30.09.1947 wurde die Verbindung Proschim-Haidemühl - Spremberg West stillgelegt. Interessant ist, dass man den starken Berufsverkehr bis 1952 über die parallel verlaufende Kohlebahn abwickelte. Die Züge bedienten in Proschim-Haidemühl allerdings nicht den Staatsbahnhof, sondern endeten an der Brikettfabrik.
Eine meterspurige Kohlebahn von Spremberg her? Seltsamer Gedanke ... Des Rätsels Lösung: Hierbei handelte es sich um eine in der Tat meterspurige Strecke, die zur Spremberger Stadtbahn gehörte. Die Bezeichnung „Kohlebahn“ ist insofern etwas irreführend, da die Strecke nicht etwa wie die eigentliche 900mm-Kohlebahn des Reviers der Zuführung von Rohbraunkohle aus den Tagebauen zu den Veredlungsbetrieben diente, sondern im Gegenteil dem Transport derer Produkte, nämlich der Briketts, zu den Fabriken in Spremberg, die von der Stadtbahn direkt über zahlreiche im Straßenplanum verlegte Gleisanschlüsse bedient wurden. Ich zitiere aus Wikipedia:
Vom Kohlebahnhof, Heinrichsfelder Straße wurde am 21. Januar 1898 der Güterverkehr auf dem ersten Abschnitt der Strecke zu den Gruben „Anna“, „Gustav Adolf“ und „Brigitta“ bei Pulsberg und Terpe aufgenommen. Der zweite Abschnitt zur Grube Clara und Brikettfabrik Werminghoff in Haidemühl folgte im Juli 1924. Damit war eine Streckenlänge von 15 Kilometern erreicht. Personenverkehr hat es auf der Kohlebahn erst ab 1947 gegeben, als die parallel laufende Reichsbahnstrecke vom Westbahnhof nach Proschim-Haidemühl stillgelegt worden war. Er wurde Ende 1952 wieder aufgegeben, ein Jahr später auch der Kohletransport.
Ein weiteres Rätsel bestand darin, daß mindestens bis 2009, als ich zuletzt die Reste Haidemühls besuchte, eine unweit und parallel zu dem ehemaligen Bahnübergang beim früheren Bahnhof Proschim-Haidemühl auf einem Damm verlaufende Bahntrasse samt Brücke über die Landstraße zu sehen war (und auch jetzt noch auf Google Maps zu sehen ist). Dabei muß es sich um eine Strecke der 900mm-Kohlebahn gehandelt haben, die erbaut worden sein muß, als sich ein Ende der Kohleförderung aus dem 1. Lausitzer Flöz im Raum Welzow – heute „Altbergbau“ genannt – abzeichnete und eine Versorgung der bestehenden Veredlungsbetriebe aus anderen Tagebauen des Reviers notwendig wurde.
Mit der Kohleförderung aus dem 1. Lausitzer Flöz war spätestens mit Auskohlung des Tagebaus Clara II im Jahre 1951 Schluß. In der Broschüre „Welzow-Süd/Jänschwalde/Cottbus-Nord“ der LMBV findet sich unter anderem folgende Grafik, die die Entwicklung des Altbergbaus im Raum Welzow veranschaulicht:
Tief- und Tagebaue des Altbergbaus im 1. Lausitzer Flöz sowie Veredlungsanlagen im Raum Welzow. Mit freundlicher Genehmigung der LMBV.
Legende dazu:
Gruben
Nummer | Name | Betriebsdauer | Typ |
---|---|---|---|
13 | Reichskanzler | 1865 | Tiefbau (keine Förderung) |
15 | Clara I | 1870-1944 | Tage- und Tiefbau |
20 | Haidemühl > Clara II | 1887-1900 | Tiefbau |
23 | Mariannensglück | 1896-1934 | Tiefbau |
24 | Clara II | 1897-1951 | Tagebau |
27 | Mariannensglück | 1908-1934 | Tagebau |
29 | Hindenburg > Clara I | 1923-1941 | Tagebau |
Brikettfabriken
Nummer | Name | Betriebsdauer |
---|---|---|
02 | Clara I/1 | 1892-1922 |
03 | Clara I/2 | 1896-1992 |
04 | Mariannensglück | 1896-1992 |
07 | Clara II | 1900-1991 |
09 | Clara I/3 | 1907-1992 |
Dieser gesamte Altbergbau wird derzeit – das heißt von 2009 bis voraussichtlich 2031 – vom Tagebau Welzow-Süd, der aus dem 2. Lausitzer Flöz fördert, erneut überbaggert, inklusive der ehemaligen Gemeinde Haidemühl. Über eine Befahrung von Welzow-Süd im Jahre 2008 hatte ich hier bereits berichtet.
Nun lag mir bisher nur das in meinem früheren Artikel erwähnte preußische Meßtischblatt 4451 (TK 25), Stand 01.04.1938, in einer Fotokopie aus der Kartenabteilung der Staatsbibliothek zu Berlin vor. Diese Karte aber zeigt weder den „Kohlebahn“-Abschnitt der Spremberger Stadtbahn noch auch irgendwelche 900mm-Kohlebahnen des Reviers, sondern neben den normalspurigen Anschlußbahnen nur Kettenbahnen, die direkt von den Brikettfabriken schnurstracks in die unmittelbar benachbarten Gruben führen.
Ausschnitt aus dem preußischen Meßtischblatt 4451 (TK 25) aus der SBB, Stand angeblich 01.04.1938 (Klick öffnet den gesamten Ausschnitt, zoombar mit Mausrad)
Weil auf dieser Karte die Tagebaue offensichtlich außerdem auch mit einem relativ frühen Abbaufortschritt gezeigt werden, melden sich leise Zweifel daran an, daß diese Karte wirklich den Zustand von 1938 zeigt. Es scheint mir eher so, als sei dies der Zustand um 1920 herum, auch weil hier wahrscheinlich noch die Brikettfabrik Clara I/1 mitsamt Kettenbahnstrang eingezeichnet ist – fast genau symmetrisch zu Clara I/2, siehe auch obige Fotos und Ansichtskarten.
Aber dank Drehscheibe Online fand sich schließlich der Link auf German Maps (Topographische Karte 1:25,000) bei der Brigham Young University. Es handelt sich dabei offensichtlich um Kartenmaterial, das nach dem Zweiten Weltkrieg von den Besatzern gestohlen, später dann mit Ergänzungen versehen nachgedruckt und schließlich als recht hochauflösende Scans unter Public Domain ins Netz gestellt wurde. Demzufolge darf ich dies Material hier auch freizügig verwenden.
Eine neuere Variante des Meßtischblattes 4451 (Klick öffnet die gesamte Karte, zoombar mit Mausrad)
Hier sind nun alle im Umfeld der Strecke liegenden Gleise der Spremberger Stadtbahn und der 900mm-Kohlebahn eingezeichnet. Tatsächlich liegen diese Gleise zu einem großen Teil parallel zur Reichsbahn. Ich vermute, daß dieses Blatt den Zustand in den 40er Jahren zeigt (spätestens 1947 wegen der dann erfolgten Stillegung des Abschnitts Proschim-Haidemühl – Spremberg). Dafür spricht auch der weit fortgeschrittene Abbauzustand der Tagebaue. Mit dem Betrachten solcher Karten und ihrer zahllosen Details könnte ich mich stundenlang beschäftigen ...
Interessant ist auch, daß auf diesem Blatt im unteren Drittel eine weitere grob in ostwestlicher Richtung verlaufende Normalspurstrecke eingezeichnet ist, die sowohl die Reichsbahn- als auch die 900mm-Kohlebahnstrecke südlich von Bluno (hier „Blunau“ genannt) überquert und des weiteren über einen Anschluß an den Bahnhof Bluno verfügt. Hierbei handelt es sich offensichtlich um die sogenannte „Trattendorfbahn“. Zu dieser heißt es bei der Sachsenschiene im Artikel zur Werkbahn Schwarze Pumpe:
In den Jahren 1920/21 errichtete die Berliner Elektrowerke A.G. die erste regelspurige Kohlebahn zwischen Spremberg/Trattendorf und der Grube Brigitta (Spreetal). Die "Trattendorfbahn" wurde später bis zum Tagebau Erika Nord (Skado) in Form eines Dreischienengleises verlängert und war bis in die 50er Jahre vorhanden.
Ansonsten habe ich über die Trattendorfbahn bisher praktisch nichts gefunden. Ihr Verlauf war aber anscheinend nirgends identisch mit dem der nach dem zweiten Weltkrieg neuerbauten Reichsbahnstrecke Knappenrode – Sornoer Buden, zu der es bei der Wikipedia und in der oben genannten Seite bei der Sachsenschiene einiges zu lesen gibt. Der Streckenteil Bluno – Hoyerswerda wurde um das Jahr 1960 an diese Strecke angeschlossen und der Streckenteil Proschim-Haidemühl – Bluno stilllgelegt; dazu näheres wiederum bei der Sachsenschiene und bei Bahnstrecken in Brandenburg.
Das südlich angrenzende Blatt 4551, das den restlichen Streckenverlauf bis Hoyerswerda zeigt, muß aber wiederum älteren Datums sein, denn die parallel verlaufenden mutmaßlichen 900mm-Gleise fehlen hier:
Ausschnitt aus Meßtischblatt 4551 (Klick öffnet die gesamte Karte, zoombar mit Mausrad)
Das östlich angrenzende Blatt 4452 dagegen zeigt neben der in einem weiten Bogen verlaufenden restlichen Strecke nach Spremberg auch das komplette Netz der meterspurigen Strecken der Spremberger Stadtbahn. Wie man sieht, existiert kein Anschluß der von Proschim-Haidemühl her kommenden Strecke mit der Strecke Cottbus – Görlitz und Spremberg Hbf. Eine solche normalspurige Verbindung, deren Trasse man auf der Karte noch erkennen kann, war ebenfalls von der Spremberger Stadtbahn betrieben worden, allerdings nur bis 1932. Die Karte zeigt also einen Zustand zwischen 1932 und 1947:
Ausschnitt aus Meßtischblatt 4452 (Klick öffnet die gesamte Karte, zoombar mit Mausrad)
Im unteren Drittel ist hier wiederum der Verlauf der Trattendorfbahn mit ihren Anschlüssen an das Kraftwerk Trattendorf und an die Grube Brigitta (später Braunkohlenwerk Spreetal) zu sehen.
Hier der Vollständigkeit halber noch die nordwestlich und westlich angrenzenden Blätter 4350 und 4450, auf denen leider etwas ungünstig gezeichnet die Einfädelung der Gleise von Reichsbahnstrecke und Anschlußgleisen in den Bahnhof Neupetershain zu sehen sind:
Ausschnitt aus Meßtischblatt 4350 (Klick öffnet die gesamte Karte, zoombar mit Mausrad)
Ausschnitt aus Meßtischblatt 4450 (Klick öffnet die gesamte Karte, zoombar mit Mausrad)
Am Rande sei noch gesagt, daß auf letzterer Karte unter anderem auch die untergegangenen Orte Wendisch Sorno und Rosendorf zu sehen sind, die 1972 und 1971 vom Tagebau Sedlitz (ex Ilse-Ost und ex Tatkraft) überbaggert wurden. Aus Wendisch Sorno stammte mein eigener Urgroßvater, der seinerseits vielleicht sorbische Ahnen hatte ... dazu werde ich zu gegebener Zeit in Hoyerswerda genealogische Forschungen anstellen.