Ich verbinde ja gerne auf meinen Reisen mehrere verschiedene, zum Teil beträchtlich auseinanderliegende Ziele oder Aufenthaltsorte. So auch nach einem besonders gelungenen Aufenthalt in Prag Ende August 2018, dem ich noch ein paar Tage in Wien folgen lassen wollte. Auf dem Weg nach Wien hatte ich mir einen Besuch bei der 760mm-Schmalspurbahn im etwa auf halbem Wege liegenden Jindřichův Hradec im Jihočeský kraj (der Südböhmischen Region Tschechiens) vorgenommen, um diese Bahn im Regelbetrieb zu erleben. Bisher kannte ich sie nämlich nur von der malá silvestrovská jízda párou (kleinen Silvesterfahrt mit Dampf) am 30.12.2015.
Eigentlich hatte ich erwartet, mit einem der vierachsigen Dieseltriebwagen der Baureihe M27 entweder in Richtung Nová Bystřice oder in Richtung Obrataň zu fahren, je nachdem, was sich eher ergeben würde. Diese Triebwagen ursprünglich rumänischer Provenienz wurden in den Jahren 2013 bis 2014 von der Firma 4RAIL a.s. neu aufgebaut und erhielten dabei das interessante Design mit den kreisrunden Seitenfenstern. Wie der M27.001 auf untenstehendem Foto vor dem Neuaufbau aussah, ist z.B. auf der Homepage von C. & K. Kämpfe zu sehen.
Triebwagen M27.001 abfahrbereit in Jindřichův Hradec
Es erwies sich aber, daß der nächste abgehende Zug aus einer T47, einem Balm/ú sowie einem——halboffenen Sommerwagen und einem vierachsigen gedeckten Güterwagen bestand und nach Nová Bystřice fahren sollte. Die letzteren beiden Fahrzeuge sind offensichtlich ebenfalls rumänischer Provenienz, der vierachsige gedeckte Güterwagen wies sogar noch die Beschriftung der rumänischen Eisenbahngesellschaft CFR auf.
Zug mit T47.018 und Triebwagen M27.001 abfahrbereit in Jindřichův Hradec
Dieser urige und absolut „schmalspurmäßige“ Zug unterstreicht deutlich den Charakter der ganzen Bahn. Der Gegensatz zu einer ursprünglich recht ähnlich gewesenen Bahn selber altösterreichischer Herkunft und selber Spurweite wie der Zillertalbahn in Tirol, die heute eher an eine moderne S-Bahn erinnert, könnte nicht größer sein. Hier in Jindřichův Hradec ist das urig-altertümliche ganz offensichtlich Programm, obwohl die Bahn selber zugleich auch noch zu ganz anderen Leistungen in der Lage ist – dazu weiter unten mehr.
Der Betreiber der Strecke sind die Jindřichohradecké místní dráhy
Nach der Ausfahrt aus dem Bahnhof Jindřichův Hradec geht es zunächst auf einer gemeinsamen Trasse mit der Normalspurstrecke per Dreischienengleis Richtung Westen, bis sich erst die Strecke nach Obrataň nördlich und schließlich die nach Nová Bystřice südlich ausfädelt. Das war mir bei meinem ersten Besuch bei der Bahn gar nicht aufgefallen. Ich hätte ganz und gar nicht damit gerechnet, daß es so etwas überhaupt noch gibt. Aber bei den Tschechen funktioniert das eben noch, wie so vieles andere auch.
Stanice Kaproun mitten im Wald
Stanice Střížovice ebenfalls praktisch mitten im Wald
Auch das ganze Umfeld ist hier natürlich ein komplett anderes als im Zillertal. Dort fährt der S-Bahn-artige Zug durch eine von jahrzehntelangem touristischem Aufschwung geprägte, mittlerweile in weiten Bereichen urban-postmodern anmutende Gegend mit Disneyland-Elementen (man verzeihe mir die vielleicht etwas despektierlich anmutende Wortwahl. In Wirklichkeit bin ich ein großer Tirol-Fan!). Hier dagegen fährt die Spielzeugeisenbahn durch ein verwunschenes Märchenland, eine durch tiefe Wälder und eine große Vielzahl an Teichen geprägte Idylle. Und die Bahn wird von den Leuten sehr gut angenommen, weil sie ideal für die vielen Wanderer und Radtouristen ist. Das ist auch der Sinn des mitgeführten Güterwagens: Der dient als Transportmittel für die Fahrräder.
In Střížovice findet stets eine Zugkreuzung statt, hier begegnet uns die Schwestermaschine T47.017
Sanierter Oberbau in Kunžak-Lomy
So sieht das wohl aus, wenn Eisenbahnliebhaber den Oberbau einer Schmalspurbahn sanieren. Unregelmäßig lange Holzschwellen, womöglich hundert Jahre alte Schienen mit zierlichem Profil, geschraubte Schienenstöße, und alles picobello. Besser kann man es nicht machen. So muß ein Schmalspurgleis aussehen!
Stanice Kunžak-Lomy: Hier hat sich seit hundert Jahren kaum etwas verändert
Nach gut anderthalb Stunden Fahrt erreicht der Zug den Endbahnhof Nová Bystřice. Hier wird kopfgemacht und in der Zwischenzeit wäre Gelegenheit gewesen, gemütlich ein leckeres tschechisches Bierchen zu zischen, wenn man denn nicht noch am selben Tag mit dem Auto von Jindřichův Hradec bis nach Wien zu fahren gedacht hätte. Das nächste Mal nehme ich mir gewiß mehr Zeit für Jindřichův Hradec und Umgebung.
Der Zug abfahrbereit in Nová Bystřice unweit der Grenze zu Niederösterreich. Man beachte die zweisprachige Aufschrift am sanierten Empfangsgebäude
Der halboffene rumänische Sommerwagen Ca/ú 527
Ich erspare mir und meinen Lesern diesmal jene antideutsche Polemik, die mich beim Anblick des Sommerwagens natürlich sofort befällt. Wer mich kennt, kann hier sowieso meine Gedanken lesen ;)
Tschechoslowakische (links) und rumänische (rechts) Mittelpuffer
Ganz offensichtlich waren keine großen Modifikationen an den rumänischen Wagen notwendig. Die rumänische Mittelpufferkupplung ist zwar um vieles massiver ausgeführt als die an den tschechoslowakischen Fahrzeugen, paßt mit dieser aber einwandfrei zusammen. Vermutlich gehen beide Systeme letztendlich auf Normen zurück, die einst in ganz k.u.k. Österreich-Ungarn Gültigkeit besaßen und die sich so bis heute auswirken.
Weil's so schön ist: Nochmals der Zug in Nová Bystřice
In Nová Bystřice ist auch dieser antike normalspurige Kesselwagen auf Rollböcken zu sehen
Detailansicht des Rollbocks, der auf tschechisch „podvalník“ heißt
An diesem und dem folgenden Fahrzeug sieht man abermals sehr schön, was diese Bahn eigentlich ausmacht: Es findet ganz normaler öffentlicher Bahnbetrieb statt und gleichzeitig ist es ein Museum. Das ist etwas ganz besonderes, was ich in Germanien und leider auch in Österreich schmerzlich vermisse.
Dieser ebenfalls schwerst antike Dreiachser anscheinend altösterreichischer Herkunft ist sowohl Exponat als auch Nutzfahrzeug
Stanice Hůrky
Auf der Rückfahrt wartete dann wiederum in Kunžak-Lomy noch eine andere große Überraschung auf mich. Mit den Rollböcken wird nämlich auch nach wie vor richtiger ernsthafter Güterverkehr durchgeführt. Dafür wurde offenbar erst jüngst eine Anzahl älterer Pufferwagen, die quasi als Adapter zwischen den normal- und den schmalspurigen Zug- und Stoßeinrichtungen dienen, hergerichtet. Was genau da transportiert wurde, konnte ich leider noch nicht in Erfahrung bringen. Vermutlich Holz.
Schwerer Güterverkehr auf Rollböcken
Güterzug in Kunžak-Lomy mit Pufferwagen
Nach drei Stunden Eisenbahngenuß stand der vorläufige Abschied an und es ging mit dem Auto weiter nach Wien. Wie hübsch dieses Jindřichův Hradec und seine Umgebung mit dem unmittelbar am Stadtzentrum gelegenen „vajgar“, einem viele Jahrhunderte alten und seegroßen Fischteich, wirklich sein muß, erfuhr ich erst im Nachhinein durch das Studium von mapy.cz und Google Streetview. Also wie schon erwähnt: Weitere Besuche hier sind sehr wahrscheinlich :)
Typenschild der T47.018