Anläßlich eines kleinen Spa-Aufenthaltes im wunderbaren Mariánské Lázně / Marienbad fand sich am 14.06.2014 Gelegenheit, dem Braunkohlewerk Vřesová einen Besuch abzustatten. Dort hatte es bis 2010 noch eine aktive Brikettfabrik gegeben; angeblich sollten deren Anlagen teilweise zur Produktion von Braunkohlestaub weiterverwendet werden. Nun interessierte mich, ob von den Charakteristika einer Brikettfabrik wohl noch viel zu sehen sei.

Braunkohlewerk Vřesová von Nordosten her gesehen

Braunkohlewerk Vřesová von Nordosten her gesehen

Der Komplex, der seine Kohle aus dem Tagebau „Lom Jiří“ erhält, heißt auf tschechisch „Průmyslový komplex Vřesová“. Beides gehört der Sokolovská uhelná, právní nástupce, akciová společnost. Vřesová hatte ursprünglich offenbar einige technologische Ähnlichkeit mit dem Gaskombinat Schwarze Pumpe in der Niederlausitz. Es stellte sich heraus, daß auch der heutige Betrieb wider Erwarten eine ganz hochinteressante Angelegenheit ist, Brikettierung hin oder her. Die tschechische Wikipedia sagt dazu (Übersetzung von mir):

Geschichte

In der Nachkriegszeit kam es im Sokolover Braunkohlerevier zur Umstellung von der Förderung im Tiefbau zu der im Tagebau, und damit entstand auch die Frage nach der Verarbeitung der Kohle. Wegen des Bedarfes nach Leuchtgas in der damaligen Tschechoslowakei in den Fünfzigerjahren des zwanzigsten Jahrhunderts wurde der Aufbau des verarbeitenden Teils der Braunkohlegruben und Brikettfabriken Sokolov (HDB) in Vřesová beschlossen – die genaue Bezeichnung lautete Brennstoffkombinat Vřesová. In den Sechzigerjahren war der Bau vollendet und schrittweise wurde der ganze Komplex in Gang gebracht.

Für den Bedarf des Kombinates wurde im Jahre 1966 in der nahegelegenen Gemeinde Tatrovice das Speicherbecken der Talsperre Tatrovice erbaut, welche vom Jahre 1969 bis 2013 auch die Quelle des Trinkwassers für das Kombinat und auch für die Gemeinde Vřesová war. Zur jetzigen Zeit deckt sie zum größten Teil den Bedarf an technologischem Wasser, die zweite Quelle ist das Speicherbecken am Chodower Bach, in das durch das Pumpwerk in Loket Wasser aus dem Fluß Ohře eingeleitet wird.

Altertümlicher Gasometer in Vřesová

Altertümlicher Gasometer in Vřesová

In den Neunzigerjahren traf die damalige Regierung die Entscheidung, die Erzeugung von Leuchtgas zu beenden, und infolgedessen wurde das Projekt des Aufbaus eines Gaskraftwerks aufgenommen, und die Erzeugung von Leuchtgas wurde auf die Erzeugung von Energogas umgestellt, welches primär zur Erzeugung von Wärme und Elektroenergie vorgesehen ist. Im Jahre 1995 wurde ein Gaskraftwerksblock in Gang gebracht und anschließend ein weiterer Block, jeweils mit einer Leistung von 200MW. Im Frühling des Jahres 2011 wurde die Erzeugung von Briketts in Vřesová eingestellt und die Brikettfabrik stillgelegt. Dieser Betrieb wurde teilweise durch die Erzeugung von Braunkohlestaub ersetzt, welche in beschränktem Ausmaß auch zur Zeit des Betriebs der Brikettfabrik stattgefunden hatte. Der ganze Verarbeitungskomplex in Vřesová ist einzigartig in dem, daß die Kohle hier auf kleinem Raum aufbereitet und verarbeitet wird, und weil wegen der Beendigung der Erzeugung von Leuchtgas und dem Aufbau des Gaskraftwerks Energogas hergestellt und gleich an Ort und Stelle in elektrische Energie und Wärme umgewandelt wird.

Werkseingang

Werkseingang

Im Jahre 2005 eröffnete auf dem Verarbeitungsgelände eine neue Sauerstoff-Fabrik der Firma Linde Gas als Ersatz für das ausgediente Original.

Alle Erzeugungsanlagen des Verarbeitungsteilkomplexes bilden zusammen einen geschlossenen Kreislauf, so daß ein äußerst hoher Wirkungsgrad mit minimaler Menge an entstehenden Abfällen und Belastungen der Umgebung erzielt wird.

Verarbeitung der Kohle

Der Verarbeitungsteilkomplex der Sokolovská uhelná p.n., a.s. besteht aus mehreren einzelnen Betrieben. Die Kohle, die überwiegend im Tagebau Jiří gewonnen wird, beginnt den Weg ihrer Verarbeitung in Brecherwerken, wo die mit der Werkbahn beförderte Kohle in kleinere Stücke zermalmt und anschließend entweder zur Trockenanlage, zu technologischen Lagerplätzen oder zur Verladung an der Waggonwaage befördert wird. In der Trockenanlage wird die Kohle in speziellen Trocknern mit Hilfe von Heißdampf (Temperatur 150-160°C) getrocknet. Die Kohle hat eingangs einen Wassergehalt von ca. 40%, nach der Trocknung wird ein Feuchtegehalt von 20% für das Dampfkraftwerk und von 30% für das Druckgaswerk benötigt. Ein Teil der Kohle wird daher nach Aussonderung mittels Bandförderern zum Betriebsteil Dampfkraftwerk transportiert. Dies ist eine der wichtigsten technologischen Anlagen, in fünf Kesseln wird hier Dampf erzeugt, welcher zur Erzeugung von Wärme und von elektrischer Energie in vier Dampfturbinen dient. Der technologische Dampf wird für andere Betriebe in Vřesová eingesetzt, zum Beispiel auch für die Erwärmung von Wasser zu Warmwasser, mit welchem Wärme an die Ortschaften Karlovy Vary, Chodov, Nová Role und Nové Sedlo und an die Gemeinde Vintířov verteilt wird. Mit einer Ferndampfleitung werden Nejdek und die dortige Gesellschaft zur Wollverarbeitung versorgt. Die Dampfkessel sind schwefelfrei. Gleichzeitig können im Dampfkraftwerk z.B. magere und reiche Expansionsgase beseitigt werden, die als Abfallprodukt bei der Erzeugung von Energogas im Druckgaswerk entstehen.

Die Kohletrocknung ist offensichtlich weiterhin ein zentraler Teil der Betriebsprozesse

Die Kohletrocknung ist offensichtlich weiterhin ein zentraler Teil der Betriebsprozesse

Das Druckgaswerk

Das Druckgaswerk

Der zweite Teil der Kohle wird zum Druckgaswerk – der Generatorenanlage – transportiert. Hier befinden sich auf zwei Etappen des Druckgaswerks Generatoren, die mit Kohle beschickt werden, und die Kohle wird hier unter einem bestimmten Druck (der Überdruck gegenüber dem atmosphärischen Druck beträgt ca. 2,7MPa) mittels klassischer Oxidation, Einblasen eines Sauerstoffgemisches und Überhitzen des Dampfes vergast. Beim Einhalten aller Bedingungen wird im Generator rohes Generatorgas geschaffen, zusammengesetzt hauptsächlich aus Wasserstoff, Methan, Kohlenmonoxid, Kohlendioxid, Schwefelwasserstoff und geringen Beimengungen von Sauerstoff, welches anschließend zur Abkühlung über Rohrtrassen und nach der Abkühlung von ca. 200°C auf ca. 35°C zur Rectisolanlage geleitet wird. Bei der Abkühlung des Gases tritt ein Ausfallen von Kondensat ein, welches aus dem Generatorgas direkt in Sedimentbehälter abgesaugt wird:

  • Schwerer Braunkohleteer (anschließend erneut der Kohle zur Füllung des Generators zugegegeben)
  • Leichter Braunkohleteer (Verkauf oder zur Benutzung im VVKP)
  • und Phenolwasser (hauptsächlich verwendet zur Einspritzung an den Vorkühlern der Generatoren und der ersten Abkühlung des Gases nach seinem Austritt aus den Generatoren).

Ein weiterer Bestandteil des Druckgaswerks ist die VVKP-Anlage – zur Nebennutzung flüssiger Produkte, sie dient in erster Linie der Verarbeitung des leichten Braunkohleteers (bzw. anderer Rohstoffe, welche bei der Kühlung und der Säuberung des Generatorgases entstehen), aus welchem auch Energogas erzeugt wird. Diese ist eine der einzigartigen Technologien, die die Sokolovská uhelná verwendet (ähnliche Anlagen gibt es auf der ganzem Welt nur wenige). Das abgekühlte Generatorgas wird zur Rectisolanlage geleitet, wo das Gas in mehreren Stufen gereinigt und damit zu Energogas für die Verwendung im Gaskraftwerk wird. Die in der Rectisolanlage aus dem Gas herausgetrennten Stoffe werden der Phenolanlage zugeführt. In der Phenolanlage werden diese Stoffe weiter gereinigt und die resultierenden karbochemischen Produkte werden zur weiteren Verwendung in den Betrieben der Sokolovská uhelná p.n., a.s., befördert oder zu externen Abnehmern gefahren.

Die beiden neuen Gasturbinenblöcke aus den Neunzigern

Die beiden neuen Gasturbinenblöcke aus den Neunzigern

Das abgekühlte und gereinigte Energogas wird zum zweiblöckigen Gaskraftwerk geleitet, wo es als Brennstoff für Gasturbinen dient. Verbranntes Energogas treibt die Turbinen an, diese erzeugen mit Generatoren elektrische Energie, und die heißen Abgase werden danach in Kessel zur Temperaturabsenkung geleitet, wo Dampf erzeugt wird, welcher wiederum Dampfturbinen antreibt. Der Zyklus des Kraftwerks ist geschlossen. Der Dampf kondensiert nach Verrichtung der Arbeit in Kühlkondensatoren und kehrt zurück zum Kessel. Der Kühlkondensator für beide Dampfturbinen, wobei in einer turmartigen Anlage kaltes Wasser entsteht, ist ein 92m hoher Kühlturm vom Typ Iterson.

Links die beiden Gasturbinenblöcke aus den Neunzigern, rechts der Dampfkraftwerksblock aus den Sechzigern

Links die beiden Gasturbinenblöcke aus den Neunzigern, rechts der Dampfkraftwerksblock aus den Sechzigern

Hut ab vor dem typisch tschechischen Pragmatismus einerseits und dem gleichermaßen typischen Einfallsreichtum andererseits, der hier wieder mal deutlich wird!

Während in Piefkinesien, wo „der Luxus tobt und der Wahnsinn wütet“ und wo alle Karbochemie sofort nach der Währungsunion im Jahre 1990 fallengelassen wurde wie die sprichwörtliche heiße Kartoffel und demzufolge alle Braunkohle heute ungeachtet ihres Bitumen- und Gasgehaltes unterschiedslos direkt in die Kraftwerkskessel wandert, hat man in Vřesová drei Fliegen mit einer Klappe geschlagen: Die vorhandenen Anlagen wurden weitgehend weitergenutzt, die Kohlewertstoffe der Sokolover Braunkohle ebenso, und man kann nun neben der Grundlast dank des Gasturbinenkraftwerks mit ein und demselben primären Energieträger auch Mittel- und Spitzenlast bedienen ... und in Piefkinesien ist man heute bestrebt, mit der „Energiewende“ die Grundlast überhaupt abzuschaffen – mit allen fürchterlichen Konsequenzen.

Bei mapy.cz kann man sehr schön den oben beschriebenen Weg der Kohle von oben sehen: Vom südlich gelegenen Kohlelagerplatz, wo die Kohle aus dem Tagebau Jiří angeliefert wird, gehen die Bandförderanlagen erst in die zentrale Trocknung, wobei ein Teil schon vorher in die östlich gelegene ehemalige Brikettfabrik (mit eigener Trocknung) abgezweigt wird, während der Rest nach der Trocknung entweder nach Westen zum Dampfkraftwerk läuft oder nach Norden zum Druckgaswerk. Bei diesem sieht man auch von oben sehr schön die im Wikipedia-Text erwähnten Generatoren in den zwei „Etappen“. Ich vermute, daß es sich dabei um Lurgi-Druckvergaser handelt.

Interessant ist auch, daß zum Zeitpunkt dieses Schreibens bei mapy.cz immer noch die Brikettrinnen sichtbar sind, während dieselbe Ansicht bei Google Maps offenbart, daß sie inzwischen verschwunden sind ... sehr schade. Wodurch wird wohl jetzt der in der ČR zweifellos nach wie vor vorhandene Bedarf an Briketts für den Hausbrand gedeckt? Etwa aus Polen? Oder doch eher aus den drei verbliebenen Brikettfabriken von Vattenfall, MIBRAG und RWE?

Hier noch ein Link zu einer Seite der Sokolovská uhelná mit Fotos von der Stillegung der Brikettfabrik: Ukončení provozu briketárny Vřesová

Eine Erinnerung an den Braunkohletiefbau im nahegelegenen Chodov

Eine Erinnerung an den Braunkohletiefbau im nahegelegenen Chodov

Nach so viel Industriefotos hier zum Abschluß noch ein Farbklecks aus Mariánské Lažně!

Mariánské Lažně, Chebská

Mariánské Lažně, Chebská

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